Uns hier noch eine kleine Geschichte für dich:
Der tönerne Buddha
In einem alten Kloster in Thailand, nicht weit von den Ruinen einer einst mächtigen Hauptstadt namens Ayutthaya, stand eine Buddha-Statue.
Sie war groß, aus Ton geformt, mit ruhigen Zügen.
Die Mönche ehrten sie, zündeten Räucherstäbchen an und legten Blüten nieder.
Die Statue war schlicht. Ihr Ton war rissig, an manchen Stellen abgeplatzt.
Sie wirkte wie etwas, das viele Leben überdauert hatte –
und müde geworden war unter der Last der Zeit.
Sie war weder prunkvoll noch wertvoll – ein Buddha unter vielen.
Die Jahre zogen still vorbei,
bis eine besonders heiße Trockenzeit kam.
Die Erde selbst schien zu reissen,
und auch der Körper des Buddha begann sich zu öffnen.
Feine Sprünge durchzogen den Ton – wie Linien in einem alten Gesicht.
Eines Abends bemerkte ein junger Mönch,
dass am Fuss der Statue etwas Seltsames blitzte.
Nicht stark. Nur ein Schimmer. Ein Hauch von Glanz,
wie Morgensonne auf stiller Wasseroberfläche.
Er trat näher, berührte die Stelle mit den Fingerspitzen.
Der Ton war spröde, porös – und der Glanz blieb.
Vorsichtig holte er ein Messer und kratzte ein winziges Stück ab.
Darunter war etwas, das sich nicht erklären ließ:
Gold.
Zuerst glaubte er, es sei vielleicht eine Verzierung,
ein kleiner Rest aus vergangener Zeit.
Aber als weitere Mönche hinzukamen und gemeinsam
die oberste Schicht des Tons abtrugen,
begann sich eine Wahrheit zu offenbaren,
die keiner erwartet hätte.
Unter der rauen, spröden Hülle
kam ein Buddha aus massivem Gold zum Vorschein.
Nicht bemalt. Nicht vergoldet.
Aus purem, leuchtendem, strahlendem Gold.
Sein Gesicht war dasselbe – aber es leuchtete von innen.
Seine Haltung war dieselbe – aber sie wirkte lebendig.
Was verborgen war, kam ans Licht.
Und alle, die ihn sahen, standen in stiller Ehrfurcht da.
Keiner wusste mehr, wer ihn verborgen hatte.
Ob es aus Angst war, in Zeiten der Plünderung,
oder aus Weisheit – damit er gefunden werden konnte,
wenn die Zeit reif war.
Aber eines war klar:
Der wahre Buddha war nie fort gewesen.
Er war nur verborgen.
Und so ist es auch mit uns.
Wir werden geboren mit etwas Kostbarem in uns:
einem Funken, einem inneren Licht, einem Genius.
Doch über die Jahre legen wir Schichten über ihn:
Erwartungen. Angst. Rollen. Anpassung. Schmerz.
Und irgendwann glauben wir selbst,
wir seien der Ton – nicht das Gold.
Aber das Gold geht nie verloren.
Es wartet. Es schweigt. Es trägt uns.
Und manchmal – durch ein Riss in unserer Fassade –
blitzt es hervor. Nur kurz.
Dann ist es an uns, hinzusehen.
Mut zu haben. Schicht für Schicht zurückzuholen,
was schon immer in uns war.
Nicht, um etwas Neues zu werden –
sondern um das zu erkennen,
was wir immer schon waren.
Die Legende beruht auf einer wahren Begebenheit. Die Statue ist über 3 Meter hoch und wiegt etwa 5,5 Tonnen reines Gold.
Heute steht der Goldene Buddha, genannt Phra Phuttha Maha Suwana Patimakon, im Wat Traimit Tempel in Bangkok und ist eines der meistbesuchten Heiligtümer Thailands. In Wirklichkeit fiel er 1955 bei einem Umzug aus den Schlingen eines Krans, wobei das Gold entdeckt wurde.
Reflexionsfragen
- Wo bin ich wie der Ton-Buddha?
Welche äusseren Schichten trage ich – aus Gewohnheit, Pflicht oder Angst?
- Welcher Lichtschimmer hat mich schon erreicht?
Wann habe ich zum ersten Mal etwas von meinem inneren Glanz gespürt?
- Wie könnte ich behutsam Hülle für Hülle ablegen?
Welche kleinen Schritte kann ich heute wagen, um meinem wahren Selbst näherzukommen?
- Welcher Schatz wartet in mir, der nur entdeckt werden will?
Was bedeutet innere Wahrhaftigkeit oder Genius für mein Leben?